Spuren in der Geschichte
Ein besonderes Kennzeichen der Dorking Hühner ist die zusätzliche fünfte Zehe. Sie ist einfach zu erkennen und hat seine Spuren auch in der Literatur hinterlassen. Eine der Ältesten bei uns bekannten Erwähnungen ist die des Römischen Autors Columella aus dem 1. Jhd., der in seinem Werk über die Landwirtschaft ein rotes, großrahmiges Huhn mit fünf Zehen beschrieb und lobte. Die Beschreibung scheint dem Aussehen heutiger Dorkinghühner sehr ähnlich.
Es gibt in anderen europäischen Ländern Hühnerrassen mit fünf Zehen, wie die französischen Faverolles (Lachshühner) und Houdan. Man geht davon aus, dass die heute als Dorking bekannten Hühner an der Entstehung dieser Rassen beteiligt waren. Es gibt allerdings keine italienische Geflügelrasse mit fünf Zehen. Kannte Columella also englische Hühner? Oder haben die Römer die fünfzehigen Hühner nach England gebracht, die wir heute als Dorking kennen?
Eine Spurensuche in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und aktuelle Untersuchungsergebnisse zur genetischen Verwandtschaft von Geflügelrassen bietet weitere Einblicke.
Red Dorkings - Harrison Weir (1824-1906), Public domain, via Wikimedia Commons
Federfüßige Henne - Ulisse Aldrovandi (1522–1605), Public domain, via Wikimedia Commons
Kelten, Phönizier, Römer? Wer brachte die Hühner nach England?
Die Phönizier waren frühe Verbreiter von Hühnern im Mittelmeerraum und auch bis Großbritannien, wo sie Zinn aus britischen Minen kauften (ca. 1035 – 922 v.Chr.). Archäologen sehen die britischen Zinn Minen als die wichtigste Quelle für dieses Metall im östlichen Mittelmeer! Der Autor des Buches „Cockfighting all over the world“, C. A. Finsterbusch (1929), vertritt die These, dass es bereits vor der Ankunft der Phönizier Haushühner in England und im Norden Europas gab und spricht von „Mongolischem Typ“. Archäologische Funde bestätigen, dass schon früher vereinzelt Hühner in Europa angekommen waren.
In Europa gelten die Kelten als frühe Verbreiter der Haushühner. Ihnen galt der Hahn als heiliges Tier und so wurden Hühner (nach einigen Quellen) bei den Kelten nicht verspeist (https://mittelalter.fandom.com/de/wiki/Huhn). Dies würde sich mit der (späteren) Aussage Julius Caesars decken, der im fünften Buch des »Gallischen Kriegs« (54 v.Chr.) über die Kelten Englands schrieb: »Hase, Huhn oder Gans gelten als unerlaubte Speisen, doch hält man diese Tiere zu Lust und Vergnügen.« Es gibt Hinweise auf erste keltische Siedlungen in England aus dem Zeitraum um 1180 v. Chr. – also bereits vor der Ankunft der Phönizier. Brachten Sie Hühner aus den Steppen Russlands mit? Und hatten diese Hühner möglicherweise fünf Zehen?
Der Marktort gab der Rasse den Namen
Seit dem frühen Mittelalter wird von Geflügelmärkten südlich von London im heutigen West-Sussex berichtet. Dort wurden Hühner gehandelt, die dann in der Region um die Stadt Dorking gemästet und als Schlachtgeflügel nach London verkauft wurden. Das Geflügel wurde in den heutigen Counties Surrey, Sussex und Kent gezüchtet. Harrison Weir (1854) weist darauf hin, dass die heute als Dorking bekannte Rasse auf diese ursprünglichen Landhühner zurückgehen. Abbildungen der Old Kent, Surrey und alten Sussex Hühner zeigen deutlich, dass diese fünf Zehen besaßen. Sie waren bekannt und beliebt für ihre Qualität als Mastgeflügel. Der Naturforscher Peter Simon Pallas (1741 – 1811), der im Auftrag der Zarin Katharina der Großen das Russische Reich bereiste, berichtet von „englischen Hühnern“ mit fünf Zehen, die besonders schwer waren und wegen ihrer Fleischqualität geschätzt wurden. Auch andere Autoren berichten um diese Zeit von den Hühnern aus der Region Dorking.
Old Kent and Sussex five toed fowl - H. Weir (1867) in Tegetmeier's Poultry Book
Her Majestys Cochins - H. Weir (1867) in Tegetmeier's Poultry Book
Die Modewelle, die (fast) alles veränderte - Hen-fever
Um 1850 gab es große Veränderungen in der westlichen „Hühnerwelt“, denn durch englische Schiffe kamen exotische Hühner aus China und Südostasien nach Europa. Sie sahen anders aus, waren oft größer und schwerer und plötzlich sehr groß in Mode. In dieser Zeit entstanden auch die ersten „Rassebeschreibungen“, nach denen Hühner auf den ebenfalls neuen Ausstellungen bewertet wurden. In Amerika sprach man von „hen-fever“, weil exotisches Geflügel für große Summen gehandelt wurde. Es wurde modern, diese neuen Hühner mit alten Landrassen zu kreuzen – was einige Geflügelexperten sehr kritisierten. Jedenfalls entstanden um diese Zeit viele neue Rassen und unsere heutigen Masthähnchen wären ohne den Einfluss der asiatischen Hühner nicht entstanden.
Spurensuche mit modernen Labormethoden
Alte Knochenfunde von Hühnern sind eher selten, was aufgrund der geringen Größe der Knochen nicht verwundert. Hinweise aus der Literatur oder von Abbildungen spiegeln das wider, was die jeweiligen Autoren vermitteln wollten. Interessant sind daher auch die Erkenntnisse, die die moderne Analyse des Hühner Genoms liefern kann. In einer großen Studie (The SYNBREED chicken diversity panel) wurden genetische Merkmale von 174 Geflügelrassen analysiert und die genetische Verwandtschaft verglichen.
Auch Dorking Hühner waren in der Studie vertreten. Sie zählen eindeutig zur Gruppe der Europäischen Rassen. Die engsten Verwandten sind Hamburger Hühner und Altenglische Kämpfer und mit geringem Abstand viele nordeuropäische Rassen wie die Houdan, Brabanter, Brakel, Westfälische Totleger, Paduaner, Holländische Weißhauben, Eulenbarthühner und (weniger nördlich beheimatet) Appenzeller Spitzhauben. In einer anderen Gruppe der Europäischen Hühner, die genetisch etwas weiter von den Dorking entfernt ist, finden sich Italiener, Kastilianer, Rheinländer, Deutsche Sperber sowie Krüper und Bergische Kräher und Bergische Schlotterkämme – Hühner, die eine größere Nähe zu den Mittelmeerrassen haben. Diese Untergruppen der Europäischen Hühner untermauern die These, dass Hühner nicht nur über den Mittelmeerraum in Europa verbreitet wurden und dass die Vorfahren der Dorking Hühner nicht erst von den Römern nach England gebracht wurden. Möglicherweise fanden sie durch die Kelten den Weg über die Steppen Osteuropas nach Nordeuropa und England.
White Dorkings - H. Weir (1867) in Tegetmeier's Poultry Book
Dark Dorking Chicken - H. Weir (1824-1906), Public domain, via Wikimedia Commons
Quellen
Corti, E., Moiseyeva, I. G., & Romanov, M. N. (2010). Five-toed chickens: Their origin, genetics, geographical spreading and history. Proc. Timiryazev Agric. Acad, 7, 156-170. https://www.summagallicana.it/Volume3/Five_toed_chickens_Izvestiya_2010.pdf
Finsterbusch, C.A. (1929). Cockfi ghting All over the World. Gaffney: Grit and Steel. https://archive.org/details/cockfightingallo01fins
Klitzke, J. (2022) Dorking. Eine alte Rasse neu entdeckt, Geflügelzeitung 12/2022 https://dorking.de/images/2022/DorkingGZ22.pdf
Malomane, D.K., Simianer, H., Weigend, A. et al. (2019) The SYNBREED chicken diversity panel: a global resource to assess chicken diversity at high genomic resolution. BMC Genomics 20, 345 https://rdcu.be/d6EWI
Tegetmeier, W.B. (1867) Poultry Book: Routledge & Sons, New York https://iiif.wellcomecollection.org/pdf/b28128059
v. Dort (2023) Dorkings https://www.chickencolours.com/wp-content/uploads/2023/04/Dorking-history-1.pdf
Weir, Harrison (1903) The poultry book. Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive https://archive.org/details/poultrybook01weir